Hier kommt der nächste Countdown-Beitrag! Der Text stammt wieder von Lena Heidenreich aus unserer Ortsgruppe. Vielen Dank an Lena und Euch allen viel Spaß beim Lesen! Der nächste Countdown-Text folgt in ein paar Tagen, also schaut regelmäßig hier vorbei.
Nicht erst seit dem Erstarken der Klimabewegung in den letzten Jahren ist der Klimawandel ein öffentlich heiß diskutiertes Thema. In der Fachwelt ist das Problem schon viel länger bekannt. Bereits Mitte der Fünfziger warnten Roger Revelle und sein Kollege Hans Suess vor Folgen des Klimawandels. Was vom Geologen Suess als „riesiges geophysikalisches Experiment“ betitelt wurde, wird heute von vielen Menschen, wie die Vattenfall-Studie 2020 klarstellt, ist als größtes Problem der Menschheit angesehen. Aber warum genau der Klimawandel? Das will ich heute untersuchen.
Zunächst muss man sich klarmachen: Der Klimawandel ist ein primär naturwissenschaftliches Problem. Die Naturwissenschaft erlaubt es, physikalische Prozesse in Sonne, Ozean und Atmosphäre zu beschreiben, Gründe für die beobachtete Erderwärmung zu finden, Modelle für die Zukunft des Klimas zu erstellen. das Problem: den Klimawandel mit emotionaler Distanz zu betrachten, die die überwiegend deduktive Arbeitsweise der Klimaphysik mit sich bringt. Da die Klimaphysik eine rein beschreibende Wissenschaft ist, kann man die Folgen des Klimawandels zwar nennen, begründen, erläutern, aber eben nicht auf Gefährlichkeit prüfen oder gar die Relevanz des Problems mit anderen Problemen in Bezug setzen.
Man muss also, um zu evaluieren, wie gefährlich der Klimawandel für die Menschheit ist, interdisziplinär arbeiten und sich fragen: Aus welchen Gründen wird eine naturwissenschaftliche Begebenheit zum Problem für die Menschheit und wie gewichtet man diese Ergebnisse? Dies ist die Aufgabe von Ethiken, philosophische sowie religiöse können dafür gewählt werden . Deswegen haben auch zahlreiche Studiengänge verpflichtende Ethikmodule. Von der gewählten Ethik wiederum hängt ab, ob eine Begebenheit als Problem, also als schädigend empfunden wird. Wenn die Begebenheit gegen die Zielsetzungen der Ethik verstößt, ist das für diese Ethik als problematisch einzustufen. Eine universelle Ethik gibt es also nicht.
Ich möchte ein kurzes Beispiel einschieben, um meine Gedankengänge zu verdeutlichen. Der Utilitarismus, eine philosophische Denkschule, strebt danach Leid zu vermindern. In der Medizin kann man Leid als Krankheit definieren. Wenn also der Klimawandel Krankheiten verursacht, ist er gefährlich.
Ich habe also überlegt, welche Parameter ausschlaggebend sind, um ein Problem auf sein Gefahrenpotenzial zu prüfen und kam auf folgendes Ergebnis. Die Parameter sind: Ausmaß, wie viele Menschen sind betroffen, Qualität, wie sind sie betroffen, hierzu zählen Unterkategorien wie wirtschaftliche Folgen, gesundheitliche Folgen etc. Heftigkeit, wie stark sind sie betroffen und Dauer/Unmittelbarkeit, ab wann und wie lange sind sie betroffen. Nun kann man aus rein naturwissenschaftlicher Sicht die einzelnen Parameter qualitativ und quantitativ ansehen und anhand dessen für jedes einzelne ein Urteil fällen. Ich definiere aus Gründen der Einfachheit für die folgende Betrachtung: Das Problem, dass in den meisten Kategorien das gefährlichste ist, ist das drängendste Problem der Menschheit.Ohne Einschränkung seien hier nur die primären Folgen, d.h. nicht Folgen, die durch mit den Problem verknüpfte politische Entscheidungen entstehen, betrachtet, da man hier keine verlässliche Einschätzung zum Klimawandel abgeben kann. Außerdem sei ohne Einschränkung nur die 5 Hauptprobleme berücksichtigt, welche die Vattenfallstudie in ihrem Fazit erwähnt, die also von den Befragten als am schlimmsten eingeschätzt wurde: Klimawandel, Pandemien, ökonomische Rezession, Krieg/Terror, Armut, Automatisierung/Künstliche Intelligenz.
Nun möchte ich mir zunächst die Qualität der Folgen betrachten. In anderen Worten, welche Folgen hat der Klimawandel konkret. Zunächst sind hier die klimatischen und geophysikalischen Veränderungen zu nennen, die eine Veränderung der Zusammensetzung der Atmosphäre mit sich bringt. Die Sachstandsberichte des IPCC bieten hier einen umfassenden Überblick. Einerseits steigen die Meeresspiegel an, da durch die steigenden Temperaturen das Eis an den Polkappen schmilzt und wärmeres Wasser eine höhere Dichte aufweist. Des Weiteren werden mit, Zitat „hoher Wahrscheinlichkeit“ Extremwetterereignisse häufiger und lang bestehende Wetterzyklen werden aus dem Gleichgewicht gebracht. Das hat folgenden naturwissenschaftlichen Hintergrund. In dem klimaphysikalischen Gleichgewicht, in dem wir uns seit vielen Jahrhunderten befinden, kann man, relativ akkurat, eine Gaußkurve über die Temperaturen legen. Verschiebt man den Meridian nur um wenig, werden extreme Ereignisse exponentiell häufiger. Hierdurch werden wetterbedingte Katastrophen wie Erosion und Waldbrände ebenso häufiger. Eine ausführliche Zusammenfassung des 6.Sachstandsbericht finden Sie in der Rubrik „Denkanstöße“
Doch der Klimawandel hat nicht nur eine klimaphysiklische Dimension: Um nun die wahre Brisanz dieser Beobachtungen einzuschätzen schaue ich mir exemplarisch zwei Unterkategorien an.
Gesundheitliche Folgen. 2006 veröffentlichte das IPCC den Human health Bericht, in dem eine Komission gesundheitliche Folgen der Erderwärmung einschätzte. Aufgrund von Verschiebungen der tropischen Zone nach Norden wurde eine Ausbreitung von Infektionskrankheiten nach Norden als wahrscheinlich empfunden. Zu weiteren Folgen gehören Beeinträchtigungen durch Extremwetterereignisse wie Hurricans und Überflutungen, eine Zunahme von Hitzetoten, die Versalzung von Böden durch zunehmende Trockenheit, Verringerung von Süßwasser. Dies spürten wir dieses Jahr schon in Deutschland. Wie der SWR berichtete, meldeten einige Kommunen rund Ulm diesen Sommer Wasserknappheit. Grundwasserspiegel sind drastisch gesunken. So geht das Wasserwerk Ulm beispielsweise davon aus, dass es rund 8Wochen Dauerregen bräuchte, um die Wasserspeicher wieder aufzufüllen. Weiterhin warnt das Umweltbundesamt offiziell auf der Homepage vor steigenden Zahlen von Hitzetoten. Wie schon erläutert, wird die Anzahl von überdurchschnittlich heißen Tagen exponentiell zunehmen. Diese Entwicklungen werden vor allem auf Alte, Kinder und chronisch Kranke negative Effekte haben, da sie gegenüber Extremsituationen weniger resilient sind.
Insbesondere bedrohen die steigenden Meeresspiegel küstennahe Gebiete, die nach und nach im mehr versinken werden. Besonders betroffen davon sind norwegische Fjorde, Südengland, Ostchina, Bangladesh und der Osten der USA, weil diese Gebiete besonders tief liegen. Die Anzahl der Menschen, die davon betroffen sein werden liegt bei etwa 300 Millionen, wie der Report „Flooded Future“ 2019 offenlegte. Die Autoren betonten, dass frühere Betrachtungen wohl zu konservativ gewesen seien. Ich vermute, dass sich die Situation in Zukunft verschlimmern wird, weil ein Bericht der Ohio University vom September 2020 herausfand, dass der Kipppunkt des grönländischen Eises wohl schon früher erreicht sei, nämlich diesen Winter. Dadurch gelangt noch mehr Schmelzwasser ins Meer, was die Meeresspiegel weiter ansteigen lassen wird.
Dass diese Entwicklungen zahlreiche Todesopfer fordern werden, liegt auf der Hand. So resumierte die WHO 2018 in einem Bericht, dass ab 2030 wahrscheinlich jährlich rund 250000 Menschen an den Folgen des Klimawandels sterben werden, eine astronomische Zahl.
Weiterhin ist zu berücksichtigen, auch die Wirtschaft wird nachhaltig geschädigt. Entgegen landläufiger Meinung ist es nicht der Klimaschutz, der die Wirtschaft gefährdet. Der Klimawandel wird Milliardenschäden verursachen, welche sich Experten mancher Bericht weigern zu beziffern, wenn die Erderwärmung weiter steigt. Einerseits werden wohl Landstriche vor allem in Afrika und Südamerika für die Landwirtschaft unnutz, weil lang anhaltende Hitzewellen und Dürren den Boden austrocknen. Solche Desertifikation wird zunehmend auch in Spanien oder Italien beobachtet. Die EU geht davon aus, dass 60% der Flächen in den südlichen EU-Staaten von Desertifikation bedroht sind. Weiterhin werden auch andere Naturkatastrophen häufiger. So ist die Heuschreckenplage Anfang letzten Jahres in Ostafrika mit hoher Wahrscheinlchkeit auf den erwärmten indischen Ozean zurückzuführen, denn dadurch regnete es 2018 mehr als üblich, Wasserreservoits bildeten sich, in denen sich die Heuschrecken 2019 sehr gut vermehren konnten, wie eine Arbeitsgruppe der Universität Konstanz herausfand. Auch ist bekannt, dass Extremwetterereignisse hohe Schäden verursachen werden. Die Bundesregierung beschloss riesige Hilfszahlungen an die Opfer der Flutkatastrophe im Ahrtal. Dass solche Katastrophen und damit solche tragischen Schicksale Einzelfälle bleiben, gilt als ausgeschlossen. Küstennahe Städte müssen umgesiedelt oder künstlich erhöht werden, wie es aktuell in Miami der Fall ist. Außerdem vernichteten Waldbrände in den USA dieses Jahr weite Flächen, dies traf auch Industrieanlagen.
Eine solche Varität der Problemfelder zeigt bei den primären Folgen ausschließlich der Klimawandel. Zwar kann beobachtet werden, dass während der Finanzkrise 2008 Krankheiten, insbesondere psychische, zunahmen, allerdings nicht im dem Ausmaße wie sie der Human Health Bericht erschreckend deutlich zeigt. Des Weiteren hat eine Pandemie primär nur Gesundheitsfolgen, die vielfältigen Problemfelder, mit denen wir uns aktuell konfrontiert sehen mildern zwar die gesundheitlichen Folgen ab, schaffen aber wirtschaftliche und soziale Probleme.
Allerdings muss man auch sehen, dass ein Krieg das Leben der Menschen noch mehr einschränkt als der Klimawandel. Da, nach der Definition des Krieges, dieser dazu führt, dass der Gegner unter Anstrengung aller verfügbaren Mittel zur Erfüllung unseres Willen gezwungen wird, liegt auf der Hand, dass dieser in der Kategorie Ausmaß noch gefährlicher ist. Eben dies gilt auch für Armut, die beiden Probleme sowie der Klimawandel haben meiner Einschätzung zufolge dieselbe Qualität, allerdings kann die Heftigkeit bei ersteren beiden theoretisch größer sein, wofür die beiden Weltkriege oder die soziale Frage des 19.Jhdt. anschauliche Beispiele darstellen. Jedoch gilt, wir befinden uns in diesem Moment nicht in einer Weltkriegssituation, sodass für uns in Europa diese Argumente deutlich abgeschwächt werden. Außerdem sollte trotz der Prämisse der ausschließlichen Berücksichtigung von primären Klimafolgen nicht ungenannt bleiben, dass die Anzahl von sogenannten Klimakriegen steigen wird. Die UN warnt explizit vor Kriegen um rarer werdende Resourcen, allen voran Wasser. Schon heute haben Konflikte um Wasser eine eigene Wikipediaseite, welche eine unvollständige Liste dieser enthält.
Um zu einem differenzierten Urteil zu gelangen, darf man sich jedoch nicht nur einen Parameter ansehen. Die Anzahl der betroffenen Menschen, ist ebenso relevant. Die ausführliche Erläuterung der Folgen des Klimawandels zu Beginn lässt keinen Zweifel, der Klimawandel trifft ausnahmslos alle Menschen, wie die vielfältigen Beispiele gezeigt haben. Egal, wo man auf der Erde lebt, wird man die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen spüren, wenn auch unterschiedlich stark. Eine derartige Umfassung eines Problems sieht man bei den anderen Bedrohungen nicht. Während Pandemien gab es in der Vergangenheit immer Gebiete, die verschont blieben. Auch heute sieht man z.B. in Staaten Australiens oder Neuseeland durch rasches Manegment nahezu keine Einschränkungen. Zu den Problemen Armut und Terror soll gesagt werden: Wenn diese alle Menschen betreffen würden, wären sie sicher als gefährlicher einzustufen. Realistisch betrachtet, ist dies aber aktuell nicht der Fall. Im Rahmen der Umsetzung der MDCS sanken sogar die absoluten Armutszahlen. Zumindest in Europa sind die Terroranschläge sogar auf dem Rückmarsch. Außerdem ist ein neuerlicher Weltkrieg, der alle Länder der Welt involvieren würde, meiner Meinung nach, aktuell unrealistisch.
Auffällig ist, dass in der Klimafolgenforschung von nachhaltigen und irreversiblen Folgen gesprochen. Diese Formulierung spielt darauf an, dass die steigenden Treibhausgasemissionen das chemische Gleichgewicht in der Atmosphäre stören. Dies ist besonders, da die Geschwindigkeit mit der die Konzentration von Co2 von 250ppm auf 400ppm gestiegen ist, in den letzten 600Millionen Jahren nie vorkam. Dies lässt den Ökosystemen wenig Zeit zur Adaption. Diese Unmittelbarkeit findet sich insbesondere auch bei Problemen wie Pandemien oder Krieg, die urplötzlich über die Menschheit hereinbrechen. Doch der entscheidende Unterschied zu diesen Problemen ist, dass es Refernzsituationen gibt, andere Kriege oder Pandemien, aus denen man lernen kann oder Muster ablesen kann. Diese Hilfe fehlt beim Klimawandel vollkommen. Außerdem und meiner Einschätzung zufolge noch brisanter: Aktuelles Forschungsthema in der Klimaforschung sind die sogenannten Kipppunkte, wie z.B. das arktische Eis, der Golfstrom oder Permafrost. Zerstört man in diesen Gebieten das Gleichgewicht durch die Erderwärmung sind die Entwicklungen nicht mehr zu stoppen. Diese Kipppunkte befeuern wiederum dann die Erderwärmung, ein nicht mehr zu stoppender Kreislauf. Eine solche Spirale, die physikalisch unmöglich ist zu durchbrechen, ist bei den anderen Problemen in keinster Weise gegeben. Und das hat den folgenden Grund: Es sind Probleme, die durch Wirtschaft oder soziale Gegebenheiten, menschliches Verhalten also, ausgelöst werden. Dass kann willentlich beeinflusst werden, die Natur nicht. Somit entzieht sich das Problem Klimawandel unserer Handlungsfähigkeit teilweise. Das führt dazu, dass der Klimawandel, möglicherweise, nicht mehr umzudrehen ist, die Folgen, die bei Ausmaß und Heftigkeit angesprochen wurden, werden keine Linderung erfahren, ganz im Gegenteil. Das IPCC geht davon aus, dass die Folgen nach und nach schlimmer werden. Belastbare Prognosen über das Jahr 2100 hinaus sind mir allerdings nicht bekannt. Auch diese Länge von einem Problem ist den anderen Bedrohungen unbekannt.
Es lässt sich zusammenfassen: Die Heftigkeit und das Ausmaß eines Problems ist nicht das Besondere oder Neue am Klimawandel. Es gibt schon immer Probleme, die ähnlich weitreichende Folgen haben, Armut und Krieg. Es gibt ebenso Probleme, die sehr viele Menschen betreffen, wie zum Beispiel Pandemien. Das Neue, das den Klimawandel zum größten Problem der Menschheit macht, ist allerdings a) die Kombination von allen Parametern. und b) die Länge eines Problems ist bisher fast ungesehen. Hinzu kommt außerdem, dass es, wie das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung selbst betont, noch viele Unsicherheiten in Klimamodellen gibt. Es ist klar, dass der Klimawandel katastrophale Folgen haben wird. Wie schlimm, haben wir selbst in der Hand. Es lässt sich also festhalten: Wenn man die Parameter, die ich zu Beginn definiert habe als Grundlage nimmt, kann man Sicht sagen. Ja, der Klimawandel ist das drängendste und gefährlichste Problem der Menschheit.
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